Amerikas letzte Bastion von Zucht und Anstand fällt: Der Disney-Konzern lockert seine berüchtigte Kleiderordnung.

Stoppelbart und nackte Beine

Amerikas letzte Bastion von Zucht und Anstand fällt: Der Disney-Konzern lockert seine berüchtigte Kleiderordnung. Männern ist künftig sogar großflächige Gesichtsbehaarung erlaubt – bis zu 6,3 Millimetern Haarlänge

Ein Bart sagt mehr als tausend Worte. Je nach Intensität des Wuchses, Farbe und Pflegestufe steht er für unverfälschte Männlichkeit, strenge Religiosität, Spießertum, revolutionären Zeitgeist – oder einfach für Verwahrlosung. Im US-Bundesstaat Florida stand Bart dagegen seit 1955 für „Such dir einen anderen Job, du bist gefeuert!“.

Jedenfalls im Hause Walt Disney: Jahrzehntelang diktierte der Konzern den Mitarbeitern in seinen Disneyland-Parks strengste Regeln ihr äußeres Erscheinungsbild betreffend, die auch jegliche Art der Gesichtsbehaarung ausschlossen. In zehn Tagen fällt nun diese Bastion: Der strikte Barterlass für die Parks in Florida und Kalifornien wird aufgehoben.

Männliche Mitarbeiter dürfen es ab 3. Februar sprießen lassen – bis zu einer Haarlänge von einem viertel Zoll, 6,3 Millimetern. Was so manchen Beschäftigten morgendlicher Verletzungsgefahren entledigt, ist für Disney ein tiefer Einschnitt. Die berühmten Comichelden mögen ganz frech und freizügig durchs Leben tapsen – die Bekleidungsvorschriften des US-Konzerns zählten lange Zeit zu den strengsten in der Unternehmenswelt. So galt für Mitarbeiterinnen noch bis vor Kurzem Rock- und Strumpfhosenpflicht, Make-up war jahrelang ebenso verboten wie ärmellose Oberteile.

Adrett und züchtig sollten sie Disneyland-Gästen gegenübertreten, als strahlendes Vorbild für die Jugend Amerikas. Die Regeln würden „regelmäßig überprüft“ und an Industriestandards angepasst, eine Aktualisierung sei nun angebracht, begründete eine Disneyland-Sprecherin die Lockerung der Bartvorschriften. Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass Disney sich für Laisser-faire entscheidet. Schon seit den 90er-Jahren dürfen sich Parkmitarbeiterinnen dezent schminken. 1999 wurde erstmals Nagellack (matt) gestattet. 2010 fiel schließlich die Strumpfhosenpflicht. Selbst Trägerhemdchen sind inzwischen erlaubt, wobei die Träger eine Mindestbreite von gut sieben Zentimetern haben müssen. Auch das Rasiergebot tastet Disney nicht zum ersten Mal an. 34 Jahre nach dem Tod von Firmengründer Walt Disney, stolzer Träger eines penibel gestutzten Schnauzers, gestattete man im Jahr 2000 den Oberlippenbart. Gänzlich dem Wildwuchs überlässt das Unternehmen seine Themenparks selbstverständlich nicht. Verboten bleiben bis auf Weiteres: Sichtbare Tätowierungen. Piercings. „Extreme“ Frisuren sowie Haarfarben. Glatt rasierte Frauenköpfe. Und Unterlippenbärte

FTD, 25.01.12 / Matthias Ruch, New York

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